Komplementäre und Alternative Medizin „Was sagt die neue S3-Leitlinie?“

Autorin: Prof. Dr. med. Jutta Hübner, Professur für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena

Es gibt in Deutschland das sogenannte onkologische Leitlinienprogramm. In diesem Programm werden für die häufigsten Tumorarten auf der Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse Handlungsempfehlungen für die Behandlung von TumorpatientInnen von Experten erarbeitet. Jede dieser Leitlinien wird auch in eine Patientenversion übersetzt, so dass PatientInnen auch selber nachlesen können, was die Wissenschaft in der Behandlung empfiehlt.

Neben diesen tumorspezifischen Leitlinien gibt es auch die sogenannten Querschnittsleitlinien, z.B. eine Leitlinie zur Behandlung von Nebenwirkungen unter der Tumortherapie.

Im September 2021 ist erstmalig die Querschnittsleitlinie Komplementäre Medizin für onkologische PatientInnen veröffentlicht worden.

Was steht in dieser Leitlinie drin?

Es gibt drei sehr wichtige Botschaften, die man auch daran erkennt, dass die Empfehlung als soll oder sollte beschrieben wird. Diese Empfehlungen sagen erstens, dass PatientInnen regelmäßig nach Informationsbedarf zur Komplementären Medizin gefragt werden sollten und danach, ob sie aktuell Komplementäre Medizin nutzen.

Warum haben die ExpertInnen dies für wichtig gehalten?

Wir wissen, dass sehr viele PatientInnen sich für Komplementäre Medizin interessieren. Leider finden viele PatientInnen es aber schwierig, Ärztinnen oder Ärzte zu finden, mit denen sie über ihre Fragen sprechen können. Deshalb gibt die Leitlinie beiden Hilfestellungen, indem sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenfasst und Empfehlungen für die Patientenberatung ausspricht.

Leider kann es durch komplementäre Medizin auch zu Schäden durch falsche Anwendung, Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen kommen. Die gilt insbesondere, wenn PatientInnen Substanzen einnehmen, z.B. Heilpflanzen, pflanzliche Extrakte oder auch Vitamine oder Spurenelemente. Deshalb gibt es im Kapitel der sogenannten biologisch basierten Therapien einige Empfehlungen, dass etwas nicht gemacht werden sollte. Dies sind insbesondere die Antioxidantien während einer Tumortherapie (z.B: Vitamin A oder E, Beta-Carotin u.ä). Diese können durch Wechselwirkungen mit der Tumortherapie deren Wirksamkeit abschwächen. Manchmal nutzen PatientInnen auch alternative Medizin anstelle der empfohlenen Therapien, sodass die Krebserkrankung nicht rechtzeitig behandelt wird. Auch dazu klärt die Leitlinie auf.

Die wichtigste Empfehlung und Antwort auf die Frage der PatientInnen „Was kann ich selber tun?“, ist körperliche Aktivität. Unsere eigenen Forschungsergebnisse zeigen aber, dass immer noch ein großer Teil der PatientInnen während der Therapie nicht körperlich aktiv wird. Dies liegt zum Teil daran, dass sie sich zu schwach oder müde fühlen, zum Teil, weil sie unsicher sind, ob dies überhaupt erlaubt ist. Hier sagt die Leitlinie ganz eindeutig, körperliche Aktivität bis hin zum Sport ist in jeder Tumorsituation nicht nur erlaubt, sondern wichtig für die PatientInnen. Es ist einer der entscheidenden Faktoren, damit die PatientInnen die Therapie gut vertragen und damit wir gute Therapieergebnisse bekommen. Im Einzelfall muss abgestimmt werden, ob es Einschränkungen beim Sport gibt, also ob z.B. bestimmte Sportarten nicht empfehlenswert sind. Eine gute Möglichkeit unter Aufsicht zu trainieren, ist der sogenannte Rehasport, der auf kosten der Krankenkassen verordnet werden kann. Aber es gibt auch viele andere Möglichkeiten und Angebote für PatientInnen. Da man regelmäßig körperlich aktiv sein sollte, ist eine der wichtigsten Beratungsinhalte, dass wir Patienten zu einer Bewegungsform motivieren, die ihnen auch Spaß macht und die sie regelmäßig durchführen.

Eine weitere wichtige Empfehlung ist, dass die Spiegel von Vitamin D. Selen und B12 bestimmt werden sollten. Alle anderen Spurenelemente und Vitamine sind in der Regel über die Ernährung ausreichend im Körper vorhanden, es sei denn, es liegen besondere Krankheitssituationen vor, auf die Ärztinnen und Ärzte auch besonders achten müssen. Bei diesen drei genannten Substanzen kann es aber unerkannt zu einem Mangel kommen. Wenn ein Mangel vorliegt, so ist es wichtig, eine mögliche Ursache zu finden (z.B: bei Vitamin B12 eine Mangelernährung) und der/die PatientIn sollte beraten werden bzw. ein Vitaminpräparat sollte verordnet werden. Vitamin D ist nach bisherigen Forschungsergebnissen nicht nur für den Knochen wichtig, sondern scheint auch einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu haben. Da PatientInnen mit Melanom sich besonders vor UV-Licht schützen, ist hier ein Vitamin-D-Mangel häufig.

Viele Empfehlungen in der Leitlinie formulieren, dass die Methode „erwogen werden kann“. Dies gilt für Methoden, bei denen in den Studien zwar keine positiven Effekte, aber auch kein direkter Schaden gefunden wurde. Das klingt erst einmal enttäuschend. Aber es ist auch eine Entlastung, denn viele PatientInnen fühlen sich von den zahlreichen gut gemeinten Tipps aus dem Bekanntenkreis oder aus Broschüren und dem Internet überfordert. Sie können sich ganz entspannen. Ob sie eine dieser Methoden machen möchten, ist ihre eigene Entscheidung. Man darf es tun, aber es gibt keinen entscheidenden Nachteil, wenn man es nicht macht. Solange kein direkter körperlicher Schaden entsteht, spricht nicht zwangsläufig etwas dagegen. Man könnte aber auch argumentieren, dass investierte Zeit oder Geld auch eine Form von Schaden sind. Deshalb ist es insbesondere wichtig, dass PatientInnen für sich schauen, ob es ihnen wirklich guttut. Wissenschaftlich betrachtet, handelt es sich teilweise um einen Placebo-Effekt.

Damit haben wir zuletzt einen wichtigen Aspekt der Komplementären Medizin angesprochen. Es geht nicht wie bei der eigentlichen Krebstherapie um lebensnotwendige Sachen, sondern es geht v.a. darum, für sich selber herauszufinden, was mir guttut. Und ich als PatientIn darf dies ganz allein entscheiden.

Am Ende der Leitline (ab S. 620) finden Sie eine Übersicht in Tabellenform zu Krebsbedingten Symptomen und komplementären Verfahren. Es gibt sowohl Positiv Empfehlungen als auch Negativ Empfehlungen, diese finden Sie in der Leitlinie auf den Seiten 620 und 627, aber auch in unserer Bildleiste rechts.

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Prof. Dr. med. Jutta Hübner
Bildquelle UKJ/ Schroll

S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen

Leitlinie Komplemetärmedizin, S. 620

Leitlinie Komplementärmedizin, S. 627

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